Domsingknaben in der Oper


Uraufführung am Staatstheater Wiesbaden
Aus der Presse:
Von Sabine Rauch (NNP):
Die erste musikalische Probe war für anderthalb Stunden angesetzt, nach einer halben Stunde waren die vier Jungs erstmal fertig, der Dirigent begeistert. Andreas Bollendorf und sein Team hatten sie offenbar gut vorbereitet, so gut, dass sie trotz Lampenfieber ihre Einsätze nicht verpasst und die Töne getroffen haben – obwohl bei dieser Probe eigentlich alles anders war, nicht nur die Musik. Aber die vier sind Domsingknaben. Und sowieso sei der Domkantor ein bisschen kritischer als Albert Horne, der Musikalische Leiter am Staatstheater Wiesbaden, sagt Jakob Hebgen und lacht. Er, Joel Stambke, Philipp Theuke und Aaron Schlitt singen jetzt auch Oper. Am Samstag, 18. Februar, ist am Staatstheater Wiesbaden die Premiere von „Oryx and Crake“, Søren Nils Eichbergs Opern-Version von Margaret Atwoods Dystopie über genmanipulierte Wesen und die Frage, wie weit die Wissenschaft gehen darf. Eigentlich nicht nur eine Premiere, sondern eine Uraufführung. Und das sei schon etwas ganz Besonderes, sagt Andreas Bollendorf.
Zumal die Musik zeitgenössisch ist, zum Teil atonal, anders als das, was die Domsingknaben sonst so singen. Die chromatischen Tonleitern hätten sich am Anfang schon ein bisschen schief angehört, sagt Philipp Theuke. Am Anfang. Vor einem Jahr hätte er diese zeitgenössische Musik sicher noch ganz schlimm gefunden, „aber mittlerweile finde ich sie ganz schön“, sagt Jakob Hebgen. Und er hofft, dass es seinen Freunden auch so geht, denn einige haben schon versprochen, dass sie nach Wiesbaden fahren, wenn Jakob auf der Bühne steht. Er und Aaron spielen abwechselnd den jungen Crake, den Antihelden, der, um die Welt zu retten, einen Erreger schuf und Menschen, die nicht nur diese Seuche überleben, sondern auch friedliebender und sanfter als der Homo Sapiens sapiens sein sollen. Am schwierigsten sei es, beim Singen locker zu bleiben, sagt Jakob Hebgen. Natürlich lernen die Domsingknaben auch „Szenisches Spiel“, aber das ist im Chor nochmal etwas ganz Anderes als auf einer großen Bühne, erst Recht, wenn die anderen alle Profis sind. Aber vom Fach sind Jakob Hebgen, Joel Stambke, Philipp Theuke und Aaron Schlitt natürlich auch. Sonst hätte das Staatstheater sie nicht engagiert.
Die umliegenden Opernhäuser riefen häufiger mal an, wenn sie Knabenrollen zu besetzen haben, sagt Andreas Bollendorf. Zwar nicht mehr so oft wie früher, denn viele Opernchöre hätten inzwischen eigene Kinderchöre, „aber wenn’s ein bisschen anspruchsvoller wird, dann rufen sie bei mir an“. Und wenn dann alles passt, die Jungs wollen, die Eltern zustimmen und ob der ganzen Proben die Schule nicht zu kurz kommt. Und gerade die Schule mache vielen Eltern Sorgen. Aber die Erfahrung habe gezeigt, dass die Jungs ihre anderen Aufgaben nicht vernachlässigen. „Das häufige Proben setzt eine ganz andere Energie frei.“
Und außerdem sei die Opernbühne eine „gelungene Abwechslung vom Alltagsgeschäft“. Schließlich singen die Jungen jetzt nicht nur etwas anderes als geistliche Literatur, sie lernen das Theater kennen, müssen auch in die Maske, zur Kostümprobe und wissen, warum Opernsänger ihre Einsätze nicht verpassen – weil sie den Dirigenten auf einem der Monitore rechts und links sehen können – für die Zuschauer gut verborgen hinter dem Vorhang. „Opernauftritte sind eine Attraktion, die das Chorleben mit sich bringt, neben den Verpflichtungen und Reisen“, sagt Andreas Bollendorf. Aber natürlich geht es nicht nur um den Spaß, es geht auch um die musikalische Bildung. Und zwar nicht nur in der Theorie: „Praktisches Tun ist sinnvoll und effektiver.“ Zwar hat er mit den Domsingknaben im vergangenen Jahr die Kinderoper Brundibar aufgeführt, deshalb war den Jungs das szenische Spiel durchaus vertraut, aber das sei doch etwas ganz Anderes gewesen, sagt Jakob Hebgen. Andreas Bollendorf formuliert es so: „Es ist toll, dass unsere Jungs auf einer Opernbühne bestehen und Anerkennung erfahren.“